Das Engagement der Bundeswehr in Litauen 2016 – 2025 von Gastautor Hauptmann Stephan Lehnert
Die russische Annexion der Krim im März 2014 und der Krieg im Donbass änderte vielfach die Bedrohungswahrnehmung der Mitgliedstaaten der NATO. Die Kombination aus konventionellem Militäreinsatz und sogenannten „hybriden Maßnahmen“ – etwa der Einsatz nicht gekennzeichneter Truppen oder Beeinflussungsmaßnahmen – löste besonders in den drei baltischen Staaten die Sorge aus, in Zukunft selber zum Ziel russischer Expansionsversuche zu werden.
Noch im September 2014 hatten die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten auf einem Gipfel in Wales eine Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft beschlossen, etwa durch die Festlegung des sogenannten Zwei-Prozent-Ziels.
Doch besonders die baltischen Staaten baten um weitergehende Maßnahmen. Man befürchtete, dass die teils großen russischen Minderheiten dort zum Ziel russischer Einflussnahme werden könnte, und dass der schmale Landkorridor zwischen Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad, der das Baltikum mit dem restlichen NATO-Bündnisgebiet verbindet, im Ernstfall schnell blockiert werden könnte, womit das Baltikum abgeschnitten wäre..
Aus diesem Grund wurden nach vorherigen Verhandlungen auf dem NATO-Gipfel in Warschau im Juli 2016 beschlossen, unter der Bezeichnung NATO Enhanced Forward Presence (eFP) ab 2017 in Estland, Lettland, Litauen und Polen jeweils einen multinationalen Verband aus etwa 1000 Soldatinnen und Soldaten zu stationieren. Ziel sollte es sein, einen Beitrag zu einer glaubwürdigen Abschreckung zu leisten und zugleich den regionalen Verbündeten die eigene Bündnissolidarität zu demonstrieren.
Als Führungsnationen erklärten sich das Vereinigte Königreich für Estland, Kanada für Lettland, Deutschland für Litauen und die USA für Polen bereit. Diese Staaten stellten den größten Anteil der sogenannten NATO-Battlegroup, die jeweils für ein halbes Jahr im Land bleiben und dann durch eine Nachfolgerotation abgelöst werden sollten. Die Indienststellung der deutsch geführten NATO-Battlegroup Litauen erfolgte im Februar 2017 im litauischen Rukla im Beisein der Staatspräsidentin Dalia Grybauskaité.
Seitdem rotieren in einem sechsmonatigen Rhythmus Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, verstärkt durch belgisches, niederländisches, norwegisches oder tschechisches Personal in Litauen. Das dortige Engagement ruhte auf vier Pfeilern: Erstens der Abschreckung eines möglichen russischen Angriffs. Zweitens der Rückversicherung der Bevölkerung durch die eigene Präsenz (unter anderem durch die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen). Drittens um die Vertiefung der NATO-Integration, die durch zahlreiche gemeinsame Übung und die Unterstellung der NATO-Battlegroup unter die litauische Brigade „Eiserner Wolf“ (benannt nach einem Fabelwesen der litauischen Folklore) verbessert werden sollte. Und viertens um die Möglichkeit, die komplexen logistischen Prozesse einer Verlegung in das Baltikum zu trainieren.
Die russische Vollinvasion der Ukraine am 24. Februar 2022 bedeutete auch für die NATO eine grundlegende Änderung der Situation. Die russische Bereitschaft, mit militärischer Gewalt Grenzen zu verschieben, die Negierung der Souveränität der ehemaligen Gliedstaaten der UdSSR und offene nukleare Drohungen ließen die Bedrohungswahrnehmung stark anwachsen. Auf den Gipfeltreffen in Brüssel und Madrid im April und Juni 2022 wurde unter anderem beschlossen, auch in anderen Staaten an der Anrainerstaaten der NATO-Ostflanke, etwa der Slowakei oder Rumänien, NATO-Battlegroups aufzustellen. Die Bundeswehr beteiligte sich hier zeitweise mit Infanteriekräften in der Slowakei und mit Flugabwehrkräften in Polen.
Besonders die drei baltischen Staaten baten um einen Ausbau der bisher vor Ort befindlichen NATO-Präsenz, nachdem die Bilder des Krieges, etwa die umfassende Zerstörung von Städten wie Mariupol und Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung wie in Butscha demonstriert hatten, dass im Falle eines Versagens der Abschreckungsbemühungen auch die Fähigkeiten zur umfassenden Verteidigung vorhanden sein müssen. Bei einem Besuch in Litauen im Juni 2022 stellte der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz dem litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda eine Verstärkung der deutschen Präsenz in Aussicht, mit dem Versprechen, diese langfristig auf die Stärke einer Brigade auszubauen. Dazu wurde zunächst ab Oktober ein Führungselement, ein sogenanntes Forward Command Element, dort stationiert. Der Großteil der assignierten Kräfte der im Nordosten Deutschlands stationierten Panzergrenadierbrigade 41 verblieb in Deutschland und stellte sich darauf ein, ihre 5.000 Soldatinnen und Soldaten im Ernstfall binnen zehn Tagen nach Litauen zu verlegen.
Die litauische Regierung begrüßte diese Entscheidung zwar, bat allerdings weiterhin darum, die deutsche Präsenz vor Ort aufzustocken. Schließlich verkündete Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius im Juni 2023 den Plan, eine neu aufzustellende Kampftruppenbrigade fest in Litauen zu stationieren. Den Kern sollten zwei bereits existierende Verbände bilden, nämlich das ostwestfälische Panzerbataillon 203 und das oberpfälzische Panzergrenadierbataillon 122. Zusätzlich wird die Brigade weitere Kräfte umfassen, etwa Logistikeinheiten, Artillerie und Sanitätskräfte. Insgesamt soll die Brigade nach Herstellung ihrer vollen Einsatzbereitschaft im Jahr 2027 circa 5.000 Soldaten und Soldatinnen umfassen.
Mit der Planung für den Großverband, der unter der Bezeichnung Panzerbrigade 45 im Mai 2025 bei einem öffentlichen Appell in Vilnius in den Dienst gestellt wurde, betrat die Bundeswehr in vielen Punkten Neuland. Anders als zuvor ist die Brigade dort nicht im Rahmen eines Auslandseinsatzes stationiert, sondern hat dort ihren festen, regulären Dienstort. Dies bedeutet, dass die Angehörigen der Brigade nicht wie bislang wenige Monate dort verbringen, sondern für mehrere Jahre dorthin versetzt werden und dabei auch die Möglichkeit haben sollen, ihre Familien mitzubringen, was die Bereitstellung von Wohnraum, Schulen und vielen weiteren Aspekten erfordert, die in der Bundeswehr in diesem Maßstab bislang unüblich war.
Beide Staaten werden durch die Aufstellung der Brigade in großem Maße gefordert. Neben den hohen Kosten, welche die Neuaufstellung einer Brigade mit sich bringt, ist auch die Gewinnung von geeignetem Personal nicht einfach – auch wenn ein Sprecher des Verteidigungsministeriums im vergangenen Jahr sagte, dass bei allen Bemühungen „Freiwilligkeit nicht das oberste Organisationsprinzip der Streitkräfte“ sein kann. Auch Litauen steht vor Herausforderungen, nachdem man sich verpflichtet hat, die Kasernen, die von der Bundeswehr mietfrei genutzt werden können, zeitgerecht zur Verfügung zu stellen: Die damit verbundenen Kosten gehören zu den größten Einzelposten im litauischen Verteidigungshaushalt.
Das deutsche Engagement in Litauen, das 2016 als Signal der Bündnissolidarität begonnen hatte, stellt mittlerweile eines der wichtigsten Elemente der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik entlang der NATO-Ostflanke dar. Trotz aller Herausforderungen ist die bisherige Wirkung hoch – und vonnöten. Trotz aller Verluste und Fehlschläge versuchen die russischen Streitkräfte seit drei Jahren weiterhin entschlossen, in der Ukraine vorzurücken, während immer wieder neue Pläne für eine Aufstockung der Streitkräfte und einen Ausbau der Rüstungsindustrie verkündet werden. Die Bedrohung durch Russland ist weiterhin existent, und kaum jemand spürt diese so stark wie die drei baltischen Staaten. Erst im April 2025 verfasste der russische Außenminister Sergej Lawrow das Vorwort eines Buches, in dem die Staatlichkeit Litauens und die Eigenständigkeit der litauischen Sprache und Kultur infrage gestellt werden.
Angesichts einer sicherheitspolitischen Lage, die immer mehr von Ungewissheiten geprägt sind, leistet das deutsche Engagement in Litauen also einen wichtigen Beitrag im System der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit Europas.
Beitrag von unserem Gastautor Stephan Lehnert, Hauptmann und Jugendoffizier der Bundeswehr
Deutsche Panzerhaubitzen durchfahren im Rahmen einer freilaufenden Übung eine litauische Ortschaft. Foto: Bundeswehr
Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45 in Vilnius am 22. Mai 2025. Der litauische Präsident Gitanas Nausėda und die litauischen Verteidigungs-ministerin Dovilė Šakalienė befestigen das Fahnenband an der Truppenfahne. Foto: Bundeswehr